Flussregenpfeifer 2023

Bericht zur Flussregenpfeifersaison 2023
Schäffäuli

Im Schäffäuli gibt der Wildfluss den Takt an: mit jedem Hochwasser wird Vorhandenes verändert und zerstört.
Dabei entstehen fliessend neue Lebensräume und Nischen für seltene Pflanzen und Tierarten. Es sind Pionierarten, welche die steilen Abrisskanten, Rückläufe mit nahrungsreichen Schlickflächen, Stillwasserzonen und Kiesflächen besiedeln.
Der Flussregenpfeifer ist einer dieser Pionierarten (CH 100-120 Brutpaare).
Sein bevorzugter Brutplatz sind vegetationsfreie oder ganz spärlich bewachsene Kiesflächen. Diese Pionierflächen bieten ihm während der 3 1/2 Wochen dauernden Brutzeit den besten Schutz vor Feinden. Durch ihre Tarnfärbung bleiben hier die Vögel auch bei der Brutablösung für die scharfen Augen überfliegender Greifvögel praktisch unsichtbar. Die grössten Kiesflächen lagen zur Hauptsache wieder auf Zürcher Seite. Hier brüteten 4-5 Paare, die obersten wassersicher bis ca. 220m3/sec, die unteren lagen schon bei <100m3/sec. landunter. Die geringe Höhe der Kiesbänke ist oft der Nachteil neu entstandener Flächen: auch kleine Regenmengen führen zum Untergang der Gelege.

Die Thurgauer Kiesbank wird nur noch bei >400m3 ganz überschwemmt. Die noch kleiner gewordenen vegetationsfreien Flächen teilten sich wieder 2 Paare.
Reale Chancen auf Bruterfolg beidseits des Flusses gab es 2023 wetterbedingt erst in der 2. Saisonhälfte.

Die Absperrungenan an beiden Ufern ab 29. März bis Anfang August entlang der Ufervegetation bewährten sich, die Besucherlenkungsmassnahmen wurden erneut sehr gut eingehalten.
Holzpfosten, doppeltes Weidezaunband und Infotafeln, dazu wasserseitig Markierungen im Sichtabstand mit Präsenz vor Ort.
Hilfreich war sicher auch der rekordnasse Frühling. Noch selten konnten die Felder so spät bestellt werden wie 2023.
Zuckerrüben und Mais konnten vielerorts erst Ende Mai ausgesät werden. Aus den vernässten Wiesen und Getreidefeldern entlang der Thur erschallten dafür die Monsterkonzerte der Laubfrösche.
Böötler und Badegäste blieben aber ganz einfach zu Hause.

Das Hochwasser vom 17. Mai 465m3/sec. markierte das Ende der Regenzeit.
Deshalb folgten am ersten schönen Frühlingsabend wohl ungewöhnlich viele Leute der Einladung zu einem Abendspaziergang auf dem Thurdamm.
Zum Kuckuck hiess das kurzfristig geänderte Ziel, das Thema Flussregenpfeifer war wegen des Hochwassers 3 Tage vorher bachab geschickt. Auch Kuckuck mussten wir dann selber rufen. Es war selten ruhig am
Fluss. Nach Brutverlusten waren wohl viele «zurück auf Neustart». Der Wechsel vom Brutmodus in den neuen Balzmodus erfolgt allerdings innert ganz wenigen Tagen.
Zwei Eisvögel sassen vor ihren alten überschwemmten Höhleneingängen. Zwei Goldammermännchen sangen im Weidengebüsch mit vollem Körpereinsatz um die Wette gegeneinander an: «wie wie wie hab ich dich liiiiiiieb».

Das Hochwasser markierte auch den Beginn einer langen Trockenzeit mit mehreren Hitzewellen > 35°C.
Für die Menschen wurde es am Fluss bald schon zu heiss.
Für Flussregenpfeifer und Eisvögel kam jetzt doch noch das ideale Zeitfenster für eine erfolgreiche Brut.
(http:// www.andelfinger-naturschutzverein.ch/nathurbildung Rekordhoher Eisvogel-Nachwuchs von Matthias Griesser)

Schon im Juni erreichten die Wassertemperaturen Spitzenwerte von > 25°C, am 11. Juli sogar 26.9°C mit extrem tiefen Sauerstoffwerten am folgenden Morgen.
Die Niedrigstwasserstände von 2022 hatten das Massensterben der Barben sichtbar gemacht, weil die Fische einfach im seichten Wasser liegen geblieben waren.
Beim abendlichen Gewitterregen am 12. Juli sah ich von der Altikerbrücke aus im braun wirbelnden Wasser innert knapp 10 Minuten die Bäuche mehrerer toter Fische aufblitzen - ihr Sterben war unauffällig, es schwemmte sie ab.
Fischschutzzonen werden immer wichtiger. Renaturierte Gewässer mit Rückläufen, natürlich beschatteten Ufern mit Totholzstrukturen unter Wasser. Die Fische müssen in Trockenperioden selbstständig kühlere und tiefere Bereiche auffinden können.

Vorbildlich gestaffeltes Mähregime des AWEL ZH
Die ganze Saison über stehen blühende und bis Ende Juli noch ungemähte Abschnitte. Dazu unterstreicht der breite unberührte Krautsaum der Ufervegetation die Absperrungen für die Brutinseln.
Zum grossen Gewinner des breiten Krautsaums, dem Sumpfrohrsänger (Vogel des Jahres 2023), kommt der Siegeszug der Nachtigall dazu - 5 Brutpaare alleine zwischen Asperhof und Altikerbrücke. Anfangs konnte man die Reviergesänge noch mit Nachpfeifen befeuern, nach Brutbeginn liessen sie sich nur noch ganz kurz aus der Reserve locken – wer verrät schon seinen Brutplatz…

Der breite Krautsaum mit Weidengebüschen verhindert Direktbeobachtungen der Flussregenpfeiferbruten, auch der Thurgauer Zugang zur Wasserkante vis à vis ist unzugänglich geworden. Aber wenigstens akustisch erkennen wir an den Lock- und Warnrufen erfolgreiche Bruten. Beim Abräumen der Tafeln auf der Kiesbank Anfang August begegneten mir die letzten knapp noch nicht flüggen Vögel.

Berufkraut jäten am Thurdamm: das Neophytenprojekt mit dem AWEL ZH unterhalb des Feldistegs zugunsten der einheimischen Flora und Fauna läuft 4 Jahre weiter und wir sind 100h zusätzlich präsent am Fluss.
Auf dem Thurgauer Damm oberhalb Feldisteg bis Uesslingerbrücke gibt es nur entlang des Dammwegs kleine Vorkommen. Einzelpflanzen mit der Wurzel entfernen und Entsorgen lohnt sich hier besonders. Es
verhindert die flächendeckende Ausbreitung an neuen Standorten z.B. durch Mulchen des Randstreifens.
Zum Glück hat das Jäten Suchtpotential… Pro Thurgau.

Flussaufwärts Weiterführung der Naturverbauungen am ZH Binnenkanal
Der vielfältige Lebensraum zwischen Feldisteg und Gütighausen wird so weiter aufgewertet. Die 2022 umgestaltete Einmündung des Ellikerbaches ist eine Erfolgsmeldung wert: ein Eisvogelpaar brütete 2x
in der kanalseitigen Wand in 2 verschiedenen Bruthöhlen. Zeitgleich mit dem Ausfliegen der 2. Eisvogelbrut (3 Jungvögel) waren auch die beiden Neuntöterbruten flügge, deren Neststandorte in kaum 50m Distanz
zueinander um die Einmündung lagen.
Die ostseitige, morgens gut besonnte Abrisskante der Einmündung war einer von 10 Standorten an Thur und Rhein, die Lorenz Achtnich in seiner spannenden Masterarbeit über die Wildbienenfauna in Abrisskanten
untersuchte. In der Frauenfelder Allmend untersuchte er zum Vergleich 10 künstliche Abrisskanten.
Er ging dabei sehr achtsam vor und informierte im voraus alle involvierten Stellen und Personen über jede geplante Begehung. Vielen Dank!

Dynamische Thur: Hochwasser am 29. August 712m3/sec d.h. Wasserstand 5m höher als 2 Tage zuvor

Fotos: Übersicht Schäffäuli – Rückhaltebecken Fahrhof – Rückhaltebecken Asperhof

Ab 450m3/sec beginnt der Rückstau des ZH Binnenkanals ins Kulturland unterhalb des Asperhofes. Ab ca. 650m3/sec staut sich der See in den Schlattwald Richtung Fuchsbrücke. Bis Ende 2023 wiederholten sich viele kleinere und grössere Hochwasser in kurzen Abständen siehe die 40-Tages-linienkurve der Station Andelfingen ab 13.11. Das Novembermaximum am 15.11. war bei 667m3/sec

Der Wildfluss Thur zeigt seine Unberechenbarkeit immer aufs Neue!
Vielen Dank nochmals den Thurgauer Wasserbauern für die Einladung im Sommer zum spannenden Austausch zu den Thurkorrektionen und aktuellen wasserbaulichen Massnahmen!
Wir werden uns auf jeden Fall weiter für den Schutz der Natur in diesem vielfältigen Lebensraum Schäffäuli engagieren.


Natur- und Vogelschutzverein Altikon mit Unterstützung der Fachstelle Naturschutz ZH und Forstamt Thurgau
Fide Meyer (Text , Fotos Thur) Silvio Bartholdi (Fotos Vögel & Thur)

 

Der vollständige Bericht kann hier als pdf herunter geladen werden.