Flussregenpfeifer 2022

Bericht zur Flussregenpfeifersaison 2022
Schäffäuli

20 Jahre Renaturierung Schäffäuli - die Dynamik des unberechenbaren Wildflusses, der sich ständig neue Wege sucht und neue Lebensräume schafft, ist ungebrochen.

Die Thurgauer Interventionslinie zum Schutz des Kulturlandes im Äuli unterhalb des Weilers Fahrhof rückte immer näher. Das Ufer wurde deshalb im Herbst 2021 zum Schutz vor weiterer Erosion mit Raubäumen gesichert. Mit Spannung erwarten wir die Reaktion des Flusses.

Nach dem rekordnassen Sommer 2021 folgte der Rekordhitzesommer mit extremer Trockenheit und langanhaltend niedrigen Wasserständen.
Die Flussregenpfeifer profitierten von den langen Brutfenstern vor und nach dem einzigen kleinen Hochwasser (9. Juni 238m3).
Für viele Fische führte das seichte Wasser mit hohen Temperaturen > 25°C, gekoppelt mit tiefem Sauerstoffgehalt, Anfang August zur absehbaren Katastrophe.

Bewährte Absperrungen an beiden Ufern Ende März entlang der Ufervegetation: Holzpfosten, doppeltes Weidezaunband, Infotafeln, wasserseitig Markierungen im Sichtabstand.

Das erste Flussregenpfeiferpaar konnten wir am Absperrtag schon bei der Paarung beobachten. In der ersten Aprilhälfte kamen sechs Paare dazu. Die bevorzugten Brutplätze sind vegetationsfreie Kiesflächen, die der Fluss im Laufe des Jahres neu geformt hat. Diese Pionierflächen bieten während der Brutzeit den besten Schutz vor Feinden. Durch ihre Tarnfärbung bleiben die Vögel auch bei der Brutablösung praktisch unsichtbar.

Die grössten Kiesflächen lagen zur Hauptsache wieder auf ZH Seite. Hier brüteten 2 Paare wassersicher bis ca. 260m3, 3 Paare wieder auf der langgezogenen flussabwärts flach auslaufenden Kiesbank, wo auch kleinere Regenmengen zum Untergang des Geleges führen. Durch die lange Trockenperiode hatten auch sie nach dem 9. Juni eine reale Chance auf Bruterfolg.
Die TG Kiesbank wird nur noch bei >400m3 ganz überschwemmt, dementsprechend werden die vegetationsfreien Flächen immer kleiner: 2 Paare brüteten hier im Mai erfolgreich (22.5. 8 Pullis), am 16.7. entdeckten wir 4 Pullis einer Zweitbrut.
→ bis Ende Saison 5 Bruten mit bestätigtem Bruterfolg

Erfolgreiche Besucherlenkungsmassnahmen im Schäffäuli 2022: die Absperrungen wurden beidseits des Flusses sehr gut (99%) eingehalten.
Die Böötler werden schon an der Altikerbrücke mittels Transparent dazu angehalten, an den nachfolgenden Kiesbänken nicht anzulanden.
Während der Hitzewellen mit >36°C zwischen Juni und August waren die riesigen Kiesflächen eh kein Aufenthaltsort mehr, die Steine im Fluss zunehmend glitschig, das Wasser mit Algengeruch.

Ausharren auf den Kiesbänken mussten nur die Flussis: 3 ½ Wochen Brutzeit bei Dauerhitze ist sehr strapaziös für die Vögel… sie sitzen sehr unruhig, meist hechelnd, Brutablösungen sind häufig, auch sieht man sie stehend, Schatten spendend über den Eiern.

20 Jahre Renaturierung bedeutet auch 20 Jahre Aufsicht.
Häufige Präsenz, «mit ins Boot holen» durch Teilen der Schönheiten vor Ort mit den Thurbesuchern, aber auch das Hundeanleingebot durchsetzen.

Die vielen Schneisen, die wegen Querprofilmessungen im Herbst auf Zürcher Seite in die Ufervegetation gefräst worden waren und dadurch zahlreiche Zugänge zum Wasser frei machten, erwiesen sich zur Brutzeit entgegen unseren Befürchtungen als sehr hilfreich: ein rasch gewachsener Brennnesselsaum entlang des Ufergürtels vergällte jedem die Lust, sich mit nackten Beinen ans Wasser durchzuschlagen.
Die Absperrungen waren von weitem unübersehbar, optisch unterstützt durch das Mähregime des AWEL`s.

Grosser Gewinner des breiten Krautsaums war einmal mehr der Sumpfrohrsänger (Vogel des Jahres 2023).
Alle 50m entzückte er uns ab Ende Mai mit seinem brillianten Konzert, bei dem er unzählige Gesangsimitationen anderer Vogelarten einbaut.

Auch im TG schützen Brennnesseln - oder auch mal mit Brombeerranken gespickte Abgänge – die Kiesbänke und Rückläufe.

Ideales Guckfenster für unsere Exkursionen im Mai auf Höhe Fuchsbrücke: direkt vis à vis durchs Fernrohr zwei balzende Pirolpaare, ein Kleinspechtpaar an seiner Bruthöhle, Kuckucksrufe vor und hinter uns und – ganz besonders gut getarnt - ein brütender Flussregenpfeifer, der dem Betrachter bis zum Schlüpfen der Jungen am 20.5. meist nur den Rücken zukehrte. Oder der Eisvogel flitzt vorbei, seine Höhle an einem ZH Uferabriss nur wenig entfernt. Da fehlt doch zum Glück nicht mehr viel! Vielleicht noch die zwei Nachtigallenmännchen, die weiter oben um die Wette sangen?

Naturverbauungen als Erosionsschutz am ZH Binnenkanal werten den vielfältigen Lebensraum zwischen Feldisteg und Gütighausen weiter auf.
Das gestaffelte Mähregime des AWEL`s ist vorbildlich: die ganze Saison über blühende und bis Ende Juli noch ungemähte Abschnitte. Unser gemeinsames Neophytenprojekt zugunsten der einheimischen Flora und Fauna läuft weiter. So sind wir 120 zusätzliche Stunden pro Saison vom Feldisteg flussabwärts präsent am Fluss.

Am 22. Juli erliess der Kanton Thurgau ein Wasserentnahmeverbot aus Oberflächengewässern (ausgenommen Hüttwilersee, Bodensee, Rhein).
Die Kantonsgrenze TG/ZH verläuft ab Höhe Feldisteg in der Mitte des Flusses… so hatten wir an der Thur wieder einmal mehr die groteske Situation, dass die Zürcher Pumpen auch nach dem 22.7. bei 4m3/sec. Restwasser weiterliefen.
Hohe Wassertemperaturen > 25°C gab es schon ab Mitte Juni Messstation Andelfingen Maxima 20.6. 25.6°C // 24.7. 26.8°C // 5.8. 26.5°C

Absperrungen abbauen oder nicht? Kontrollgang ausnahmsweise im Flussbett am 24. Juli.
Die riesigen Kiesflächen waren nicht mehr einsehbar vom Vorland aus. Im Zürcher Rücklauf hörten wir die Warnrufe einer Flussregenpfeiferfamilie ohne die Jungen zu sehen. Am Thurgauer Ufer entdeckten wir dazu eine Familie mit vier etwa 10 Tage alten Jungen. Also nicht!

Beim Abräumen der Absperrungen zwei Wochen später am Sonntag, 7.8. waren sie gerade flügge geworden.
Erst an der Wasserkante der grosse Schock: das Fischsterben hatte auch hier begonnen.
Ein Elend, so weit das Auge reichte . 60-70cm grosse Barben tot auf den Steinen, erstickt, gestrandet im seichten Wasser!
Andere ganz langsam flussabwärts im Restwasser treibend.

Ein kurzes heftiges lokales Gewitter überquerte am Freitagabend, 5.8. bei Altikon/Ellikon den Fluss Richtung Seebachtal - vermutlich der Todesstoss für die schon vorgestressten Fische.
Die Abflussmengen der letzten Tage um die 4m3/sec, der Anteil an Klärwasser nahe 100%, die Wassertemperatur 26.5°, Hitzetag 35°C …

Dann plötzlich nach 6 Wochen Trockenzeit der erste Regen: es goss wie aus «Putzkübeln», dazu «seichwarm». Akuter Erstickungstod durch das sofortiges Auswaschen und Aufwühlen von Sand, Schlamm und Algen im Fluss? Oder erst am nächsten Tag? Die Sauerstoffkurve blieb am nächsten Tag vergleichsweise tief.

Das heisse Dreckwasser der Strassen gelangt via Binnenkanal erst 5km weiter unten beim Asperhof in den Fluss. Die vielen toten Barben lagen am Sonntag alle unterhalb des Feldistegs und wurden später auch in Gütighausen angeschwemmt. Zwischen Pfyn und der Einmündung des Klärkanals Ellikon, wenig oberhalb des Feldistegs, verlief die Absuche durch die Thurgauer Fischer negativ.

Entsorgt wurden die verendeten Fische (mehrere Hundert) am Folgetag nicht durch die Jagd- und Fischereiverwaltung, wie via Medien kolportiert, sondern durch Fischer des Thurreviers l/61.
Eine sehr undankbare, unappetitliche, deprimierende und schweisstreibende Arbeit - danke!!!

Fische müssen in Trockenperioden selbstständig kühlere und tiefere Bereiche auffinden können. Dafür braucht es viel mehr renaturierte Gewässer mit Rückläufen, natürlich beschatteten Ufern, Totholzstrukturen unter Wasser als Verstecke und Rückzugsorte und auch Fischschutzzonen -> Schäffäuli?
Auch das Neuaushandeln der Wasserentnahmekonzessionen gehört dazu, das Restwassermengen neu festlegt und temporäre Verbote von Seiten des Kantons in Notsituationen erlaubt, in Absprache mit den Nachbarkantonen:
ein Fluss - ein Wasserregime.

Schäffäuli am 1.2.2023 – fast eine Kopie des Fotos vor einem Jahr. Die Dynamik nur im Kleinen sichtbar. Die Kiesbänke parat für die Rückkehr der Flusssregenpfeifer in einem Monat.
Wir bleiben dran!

Fide Meyer (Text, Thurbilder) & Silvio Bartholdi (Foto Thur, Vogelbilder)

Natur- und Vogelschutzverein Altikon www. natur4ort.ch im Auftrag Forstamt TG / Fachstelle Naturschutz ZH