Flussregenpfeifer 2021

Bericht zur Flussregenpfeifersaison 2021
Schäffäuli

Alles im Fluss

Die Thur im Schäffäuli bei Neunforn/Altikon legt seit Abschluss der Renaturierung 2002 eine unglaubliche Dynamik und Schönheit an den Tag. Mit jedem Hochwasser wird Vorhandenes zerstört - mit jedem Mal entsteht an anderer Stelle Neues: Rückläufe, Stillwasserzonen, Abrisskanten, Kiesbänke, irgendwann auch wieder neuer Auenwald.
Viele seltene Pflanzen und Tierarten sind auf genau diese Veränderungen angewiesen. Einerseits zeigen sie erstaunliche Fähigkeiten mit Extremsituationen umzugehen, andererseits sind sie auf Gedeih und Verderb von diesem Lebensraum abhängig.

Der Flussregenpfeifer ist einer dieser Pionierarten (CH 100-120 Brutpaare).
Bevorzugter Brutplatz sind vegetationsfreie Kiesflächen, die der Fluss im Laufe des Jahres neu gestaltet hat. Diese Pionierflächen bieten ihm während der Brutzeit den besten Schutz vor Feinden. Durch ihre Tarnfärbung bleiben die Vögel auch bei der Brutablösung für scharfe Augen praktisch unsichtbar.
Der Nachteil: neu geschaffene Flächen sind durch ihre geringe Höhe stark Hochwasser gefährdet – dies wurde im regenreichen Sommer 2021 den meisten der 8 Schäffäuli-Brutpaare zum Verhängnis.

Bewährte Absperrungen an beiden Ufern Ende März entlang der Ufervegetation: Holzpfosten, doppeltes Weidezaunband, Infotafeln (wasserseitig im Sichtabstand)
Der kälteste Frühling seit 30 Jahren machte die Besucherlenkung einfacher - kaum Böötler, keine Badegäste und ein Glücksfall: ein Flussregenpfeiferpaar als Shooting Star.

Das Brutzeitfenster 2021 war wetterbedingt sehr klein. Nur Vögel, die Ende März schon im Brutgebiet angekommen waren, hatten überhaupt eine Chance auf Bruterfolg.

Revierbesetzung, Balzrituale, Paarungszeit (eine Woche für ein vollständiges Gelege à 4 Eier), 3 ½ Wochen Brutzeit plus 3 ½ Wochen bis die Jungen flügge sind – das braucht mindestens 2 Monate…

Vom 7. Juni an folgten im Monatsrhythmus weitere Hochwasser, die jeden weiteren Bruterfolg vereitelten: 9. Juli 703m3/sec., 1. Aug. 412m3/sec.

Das einzige erfolgreiche ZH-Paar war ein echter Glücksfall - es gibt kaum bessere Botschafter für die Notwendigkeit ungestörter geschützter Kiesbänke und Flussabschnitte wie die Vögel selber.
Sogar von Auge sichtbar brütete es nahe am Ufer auf einer kleinen Kieshalbinsel am unteren Ende des Zürcher Rücklaufs und stand quasi vom ersten Bruttag bis zum Flüggewerden der Jungen unter
Dauerbeobachtung.

Das Frühlingspublikum nahm sich Zeit.
Ob Spaziergänger (mit und ohne Hund), Velofahrer, Exkursionsteilnehmer oder treue Fans: mit einem Blick durchs Fernrohr waren alle live dabei.

Die Vögel hatten den perfekten Platz gewählt.
Den höchstgelegensten Punkt auf Zürcher Seite. Dazu weit weg von den flachen Kiesausläufern am Hauptstrom des Flusses, wo ganztags Krähen, Möwen, Rot- und Scharzmilane auf Suche nach angeschwemmtem Futter sind.
Flussregenpfeiferjunge suchen als Nestflüchter ihre Nahrung gleich nach dem Schlüpfen selbstständig, sind dadurch aber auch leichte Beute für Feinde, die sich beim Überflug keine noch so kleine Bewegung entgehen lassen.

Auch die Zitterpartie am 22. Mai bei 182m3/sec. überstand die Familie - die Restkiesfläche schrumpfte auf ca. 2x 20m… flügge waren die Jungen erst eine Woche später.
Allerdings hilft auch die aufopferndste Rund-um-die Uhr-Betreuung bei Wind und Wetter durch die Elternvögel nicht immer - ein Junges ging verloren.

Glück auch für zwei Eisvogelbruten im Schäffäuli.
Am 23. Mai (gem. Matthias Griesser an der Thur rekordmässig früh im Jahr) und am 6. Juni (1 Tag vor dem Juni-Hochwasser) sichteten wir je drei soeben ausgeflogene Jungvögel.
Wetterbedingt brüteten 2021 an der zürcherischen Thur unterhalb Thalheim bis zur Thurmündung nicht einmal halb so viele Eisvogel-Paare (5) wie im Vorjahr (12).
Bericht www.andelfinger-naturschutzverein.ch/nathurbildung

Vielfältige Auenlandschaften für Überlebenskünstler
Eindrücklich, wie ruhig im Rücklauf des Flussmäanders und im überfluteten Auenwald das Wasser trotz Hochwasser dahinfliesst oder sogar still steht. Hier reisst der Strom nicht alles mit, für Fische und Wirbellose eine Chance, die Katastrophe zu überleben.
Kaum sinkt der Wasserstand kehren die mobilen Flussbewohner zurück – zwei Wochen später waren alle 8 Flussregenpfeiferpaare wieder am Brüten, jedes in seinem vorherigen Revier. Als erstes die Paare mit den «sichersten» Brutplätzen, dann auch die, denen schon bei 100m3/sec. der Untergang drohte.
Dass alle Bruten keine Chance mehr hatten, zeigen die Hochwasserkurven, aber wer weiss das schon vorher... Jetzt kam erst mal der Sommer!
Den Fluss geniessen, Baden, Böötlen, Brötlen, Ferien!!! An den Wochenenden zieht es die Menschen an den Fluss, unter der Woche ist es trotz Hitze meistens fast menschenleer.

Die Species der unsensiblen Trampeltiere fehlt dabei nie:
Fussspuren zu einem am Vortag noch bebrüteten Gelege, Steine suchen innerhalb der Absperrungen, zurückgelassene Einweggrills, Bierdosen & sonstiger Müll mitten im Flussbett...

Neue Warntafeln: Wildwasser Thur – reale, oft unterschätzte Gefahren!
Die Idylle kann täuschen. Nur knöcheltiefes Wasser auf mehreren Kilometern. Fast langweilig. Dann endlich Abwechslung. Die Schussfahrt im Mäander Schäffäuli – und plötzlich «fertig lustig»: Boot gekentert, alle Siebensachen weg.
Hier frisst sich der Flusslauf ins Ufer, an den steilen Abrisskanten liegen abgestürzte Uferbäume oder abgeschwemmte Bäume mitten in der Strömung, je nach Wasserstand knapp unter der Oberfläche. Bei Niedrigwasser zieht die Strömung der engsten Passage erst recht auf direktem Weg in die Hindernisse.

Immer wieder ahnungslose Familien mit (Klein)kindern, Kinderboot an Elternboot gebunden, keine Schwimmwesten… in starker Strömung seine Familie retten, barfuss auf rutschigen Baum-stämmen balancierend, inmitten abgebrochener spitzer Äste, da kommt auch mal Panik auf.
Auch 2021 musste die Feuerwehr/117 ausrücken. Nochmals gut gegangen. Böötler untereinander sind hilfsbereit, die Rettung schon geschehen. Überbleibsel der Havarien (defekte Gummiboote, Luftmatratzen, Schwimmringe) hängen noch lange im Geäst, Smartphones auf Grund…
www. umwelt.tg.ch «Zehn Gebote für die Thurfahrt»

Alles im Fluss - die Thurgauer Interventionslinie zum Schutz des Kulturlandes im Äuli unterhalb des Weilers Fahrhof ist nach 20 Jahren Renaturierung langsam erreicht.

Das Amt für Umwelt Thurgau / Wasserbauamt liess im Herbst 2021 zum Schutz vor weiterer Erosion das Ufer mit Raubäumen sichern. Verwendet werden meist Fichten, aber auch Laubbäume mit astreichen Baumkronen von etwa 20m Länge.

Die in Fliessrichtung verlaufende Buhne, die Bäume verkeilt zwischen zwei Holzpfahlreihen, lenkt den Hauptstrom zur Mitte. Unterhalb davon wurden Buhnen à fünf Raubäumen quer bzw. leicht aufwärts zur Flussrichtung im Uferraum befestigt und eingegraben. Das Geäst der Raubäume verwirbelt das Wasser, senkt die Fliessgeschwindigkeit und fördert die Ablagerung von Sand und Feinkies, so dass sich ein neues Ufer aufbauen kann – und ist natürlich auch neuer Rückzugsort für (Jung)fische.

Nach Abschluss der Arbeiten ist es wieder der Fluss, der das Zepter übernimmt - der unberechenbare Wildfluss, der sich immer neue Wege sucht und neue Lebensräume schafft.


Auch 2022 werden wir uns voll für diesen artenreichen Lebensraum engagieren.
 

Alles im Fluss – vielleicht auch eine Zürcher Schutzverordnung und ein kantonsübergreifendes Besucherlenkungskonzept mit Rangerdienst, zum 20-Jahrjubiläum?

 


Fide Meyer        Text, Thurbilder
Silvio Bartholdi Vogelfotos (Digiscoping Fernrohr)
 

Natur- und Vogelschutzverein Altikon www. natur4ort.ch
im Auftrag Forstamt TG / Fachstelle Naturschutz ZH

 

Der Bericht kann hier heruntergeladen werden.