Das Winterquartier der Flussregenpfeifer liegt südlich der Sahara. Schon Mitte März wurden die ersten Rückkehrer im Schäffäuli gesichtet. Vegetationsfreie Kiesflächen, die der Fluss im Lauf des Jahres neu gestaltet hat, werden als Brutplatz bevorzugt. Während der Brutzeit bieten diese Pionierflächen den besten Schutz vor Feinden - auch für scharfe Augen sind die Vögel durch ihre Tarnfärbung in Ruhe kaum auszumachen. Der Nachteil: durch ihre geringe Höhe sind neue Flächen sehr Hochwasser gefährdet. Die Balz beginnt jeweils sofort nach der Rückkehr ins Brutgebiet. Wer zuerst kommt, kann sich das beste Revier sichern - 7 Paare teilten sich dieses Jahr das Schäffäuli.
Wieder Totalsperrung des Thurgauer Rücklaufs im nationalen Auenschutzgebiet
Hier hatte sich im Vergleich zum Vorjahr kaum etwas verändert. Es blieben im oberen Teil noch einige wenige offene, für eine Flussregenpfeiferbrut geeignete Flächen, echte Pionierflächen nur im unteren Drittel. Die Regeln sollten für alle Besucher klar ersichtlich sein: mit doppeltem Weidezaunband am Ufer und Pfosten mit Laminaten im Sichtabstand zueinander an der Wasserlinie markierten wir am letzten Märzwochenende den ganzen Flussabschnitt.
Auf Zürcher Seite war die Kiesbank noch weiter flussabwärts gewandert.
Auf zwei Dritteln ein langgezogenes Kiesband mit schmalem leicht erhöhtem vegetationsarmen Plateau, im unteren Drittel eine reine Pionierfläche, die im auslaufenden Teil schon bei 60m3 Abfluss unter Wasser stand. Dazu ein Rücklauf mit strukturreichen sandigen Pionierflächen und Rückzugszonen für Jungfische und andere Wasserlebewesen, dazwischen eine schützende Vegetationsfläche.
Einen kleinen Zugang zur Insel offen lassen? Wir entschieden uns dagegen.
Flussregenpfeifer brauchen ungestörte Kiesbänke zum Brüten – deshalb auch hier wieder gut sichtbare Absperrungen im Vorland entlang der Ufervegetation.
3 ½ Wochen lang bebrüten Männchen und Weibchen abwechselnd ihre 4 Eier in einer einfachen Nistmulde im Kies, Wind und Wetter zu 100% ausgesetzt. Sie vertrauen auf ihre Tarnung und verlassen ihr Gelege so wenig wie möglich, um unsichtbar zu bleiben. Bei der Brutablösung muss die Luft rein sein - erst dann nähert sich der ablösende Vogel im Zickzackkurs, immer auf der Hut vor möglichen Feinden.
Kommt ein Fuchs, eine futtersuchende Krähe oder ein sonstiger Störefried dem Gelege zu nahe, so werden die Vögel alles tun, um diesen von ihrem Gelege weg zu lenken - sie verleiten den Feind mit hängenden Flügeln, mimen den schwer Verletzten und fliegen im letzten Moment davon. Es war filmreif, vom Damm her zu zuschauen, wie ein Flussregenpeifer ein im Verhältnis riesiges Nilgänsepaar, das sich nahe dem Gelege platzieren wollte, flussabwärts lockte, indem er sich laut pfeifend vor ihnen her im Sand wälzte. Bei den Menschen funktioniert diese Methode allerdings definitiv nicht, der bleibt, oft stundenlang.
Die Rückkehr der Flussregenpfeifer fiel zeitlich zusammen mit dem Corona - Lockdown und einer aussergewöhnlich langen warmem und trocken Wetterperiode. Das bedeutete ein sehr hohes Besucheraufkommen am Fluss und dem entsprechend leider sehr viele direkte Störungen in dieser für die Vögel sehr sensiblen Zeit. Vor allem zerrten uneinsichtige Hundehalter, deren freilaufende Hunde natürlich nie jagen - öfters auch Rudel >10 - an den Nerven.
Das erste Hochwasser am 6. Mai (knapp 170m3) schwemmte alle Gelege auf den Pionierflächen weg, geschlüpfte Pullis hätten eine Überlebenschance haben können (Foto links). Die 6-wöchige Schön-wetterperiode war lange genug für erfolgreiches Brüten, aber keines der vier ZH Brutpaare war in dieser Zeit länger als ein paar Tage auf dem Gelege gesessen. Die Gelegeverluste korrelierten mit wiederkehrenden Störungen: ertappte Besucher, Fussspuren im Schlick, Aufenthalte mit Hund innerhalb der Absperrungen an Orten, wo die Fluchtdistanz der Vögel schon vom Ufer her fast unterschritten war.
Die Biodiversität an unserem Thurabschnitt ist sehr hoch und x-fach dokumentiert - zu Wasser und zu Land
Zeigt man vom Zürcher Thurdamm her gerade einen Flussregenpfeifer durchs Fernrohr, flitzt bestimmt auch der Eisvogel vorbei, Pirole flöten neben, hinter und auch vor uns auf der anderen Flussseite, genau gleich der Kuckuck. Gartengrasmücken und Sumpfrohrsänger schwätzen gegeneinander an, ein Kleinspecht ruft und trommelt, sogar ein Nachtigallenpaar brütete erfolgreich am Binnenkanal.
Idealer Lebensraum für Fische: ein reiches Nahrungsangebot, vom Biber und Fluss gestaltete Unterwasserstrukturen für Jungfische, verschiedene Temperaturzonen - ein Fluchtort vor den stark durch Freizeitaktivitäten genutzten Abschnitten, auch die geschützten Nasen laichen hier.
Der Erholungswert ist bei einer solchen Kulisse hoch und es ist klar, genau hier hin zieht es uns alle. Dorthin, wo der Fluss am natürlichsten fliesst. Als Fischer möchte man hier fischen, als Kanute biwakieren, als Naturschützer forschen, als Liebespaar sich lümmeln, als Familie bröteln… Aber Hand aufs Herz: lebensnotwendig ist das für uns alle nicht, hier hat die Natur Vorrang und die, die auf diese Nischen für ihre Kinderstube angewiesen sind. Platz ist für alle genug da, weiter unten, weiter oben.
Leider funktioniert Besucherlenkung nicht mit Appellen an die Vernunft. Es braucht viel Präsenz vor Ort, ein ganzjähriger Rangerdienst entlang des ganzen Flusses tut schon lange Not.
Nach dem Mai-Hochwasser war die Besuchersituation für die Flussis ein bisschen entspannter und hoffnungsvoller, denn auch viele Besucher hatte es nach dem 11.5. wieder zurück ins echte Leben geschwemmt: in die Läden (endlich wieder Shoppen), zum Coiffeur, in die Restaurants, in die Schule.
An Pfingsten brüteten wieder alle 7 Paare - leider machte der Fluss den Vögeln wieder einen Strich durch die Rechnung: am 11. Juni war bei 319m3 wieder landunter, alle Gelege weg!
Eine Eisvogelbrut am Flaschenhals Ende Mäander war zum Glück schon ausgeflogen, die Brutröhre eines zweiten Paares war an der breitesten Stelle des Flussmäanders noch über dem Wasserspiegel.
Es ist fast nicht zu glauben: die Vögel sitzen auf ihrem Gelege, bis ihr Bauchgefieder nass wird (Foto). Erst dann geben sie auf, trippeln davon, ein paar Rufe – das war`s. Auch für uns hiess das Neustart: die wasserseitigen Pfosten wieder aufrichten, eine letzte Brutchance hatten sie noch!
Der schnelle Wechsel vom Brutmodus in den Balzmodus erstaunt immer wieder: idR ist nach einer Woche das Gelege wieder vollständig (= Erfahrungwert nach Bruterfolgen). Die vier Zürcher Paare und das Thurgauer Paar vis à vis sassen jedenfalls wieder, unbeirrt an fast gleicher Stelle. In ihrem alten Revier, das sie sich im Frühling erkämpft haben. Zukünftige Hochwasserszenarien haben sie offensichtlich nicht im Visier. Der nächste mögliche Schlüpftermin wäre also am 13./14. Juli.
Mähregime AWEL 2020 ZH (Feldisteg - Asperhof)
Die artenreichen Dammwiesen wurden wieder vorbildlich zeitlich und örtlich gestaffelt gemäht. So gab es die ganze Saison über blühende ungemähte Abschnitte. Die dichten Berufkrautbestände auf der kanalseitigen Dammsüdseite sind aber weiterhin ein grosses Problem. Die Kombination von mehrfachem Mähen alle 4-6 Wochen und regelmässigem Zupfen in den ungemähten Abschnitten (AWEL) soll eine weitere Ausbreitung verhindern. Die zwei Haken am Mähregime der Berufkrautflächen:
Die einheimischen Pflanzen, die man vor der Verdrängung durch das Berufkraut schützen will, können sich kaum versamen.
Ebenso wird der Entwicklungszyklus der Insektenfauna und damit die Biodiversität der besonders wertvollen besonnten Magerwiesen der Dammrüchseite stark beeinträchtigt. Sobald man das einjährige Berufkraut mäht, verzweigt es sich und blüht nach kurzer Zeit um ein Vielfaches, es verholzt und wird mehrjährig.
Es konkurriert nicht nur um Nährstoffe, Licht und Wasser, es sondert zusätzlich Stoffe ab, welche die benachbarten Pflanzen am Keimen und Wachsen hemmen.
Zwischen Mai und Juli zupften wir als Naturschutzverein im direkten Einsatz für die Biodiversität vor Ort während 140h vom Feldisteg abwärts einen Dammkilometer Berufkraut, der Mähzeitpunkt wurde so weit nach hinten verschoben.
Die hohe Präsenzzeit beim Zupfen gab sehr viele spontane spannende Gespräche mit Spaziergängern und Velofahrern. Das entschädigte für die wegen Corona ausgefallenen Exkursionen, bei denen unsere lokalen Naturwerte sonst 1:1 vermittelt werden können.
Punkto Flussregenpfeiferschutz gab es zur Halbzeit der letzten Brutphase unnötigen Ärger – es ist dabei irrelevant, dass am Ende am 11. Juli 4 Gelege kurz vor dem Schlüpfen und am 7. Juli das allerletzte 3 Tage nach dem Schlüpfen weggeschwemmt wurde.
Alle paar Jahre wieder eine kantonale Bewilligung zur Erstellung von Querprofilen im Flussbett während der Brutzeit: Zwei der Profil-Linien verliefen ein paar wenige Meter neben bebrüteten Flussregenpfeifergelegen, die Gerätschaften lagen und standen nicht weit davon entfernt. Ruedi Lengweiler liess die Vermessungsarbeiten nach Meldeeingang sofort abbrechen. Die Bewilligung wurde ohne Kenntnis von lokalen getroffenen Massnahmen erteilt, war die Karte mit nichtaktuellem Flussverlauf Entscheidungsgrundlage?
Die Flussregenpfeifer gehören ins "Artenschutzprojekt Vögel" der Vogelwarte Sempach & Birdlife Schweiz. Das Jagdgesetz verbietet Störungen von Säugetieren und Vögeln zur Brutzeit. Widerhandlungen gegen dieses Gesetz sind Offizialdelikte.
Appell Nr. 1 an alle Fachstellen Naturschutz, Wasserbauämter & andere involvierte Stellen - egal in welchem Kanton
Bitte stellt Bewilligungen nicht unbesehen als Blankochecks aus, auch nicht Bewilligungsgesuche, die alljährlich wiederkehren! Natur vor Ort verändert sich. Kartierungen in BDM-Quadraten (= Biodiversitäts-Monitoring-Flächen) liefern wertvolle Resultate für die Natur: aber auch hier können in sensiblen Gebieten zur Brutzeit Auflagen nötig sein, zumindest eine vorherige Absprache mit Gebietsbetreuern, sonst beisst sich der Naturschutz irgendwo in den eigenen Schwanz. Wie kann ich einen Hundehalter zurechtweisen, wenn „ der Naturschutz“ selber im Gebiet herumspaziert?
Appell Nr. 2 speziell an den Kanton Zürich
Die Thurgauer sind uns ein paar Nasenlängen voraus, ein kantonales Rangerwesen für alle Schutzgebiete ist aufgegleist. Es ist wirklich höchste Zeit für ein kantonales Besucherlenkungskonzept entlang der ganzen Thur. Es sollte nicht noch allzu viel Wasser den Fluss runterfliessen, bis all die Projekte, die dazu in den Schubladen stecken, verwirklicht werden.
Und es braucht auch eine adäquate Schutzverordnung für das Zürcher Gebiet Schäffäuli - es ist ein und derselbe Lebensraum beidseits des Flusses.
Fide Meyer Text, Thurbilder
Silvio Bartholdi Vogelfotos (Digiscoping Fernrohr)
Natur- und Vogelschutzverein Altikon www. natur4ort.ch
im Auftrag Forstamt TG / Fachstelle Naturschutz ZH
Der Bericht kann hier heruntergeladen werden.