Flussregenpfeifer 2019

Bericht zur Flussregenpfeifersaison 2019
an der Thur Altikon ZH / Neunforn TG

ZUSAMMENFASSUNG

Sechs Brutpaare fanden zwischen Mitte März und Ende April den beschwerlichen Weg aus Afrika zurück an unseren Thurabschnitt. Die Totalsperrung des Thurgauer Rücklaufs Schäffäuli ab Ende März wurde sehr gut respektiert. Dank doppeltem Weidezaunband am Ufer, dank Pfosten mit Info-Laminaten im Sichtabstand zueinander an der Wasserlinie - und dank häufiger Präsenz vor Ort. Trotzdem war der Bruterfolg leider sehr gering. Nur gerade zwei Jungvögel wurden flügge.

Das renaturierte Gebiet ist attraktiver Hotspot für viele Tierarten, auch für zahlreiche potentiellen Nesträuber und Fressfeinde der Flussregenpfeifer wie Fuchs, Hermelin, Marder, Reiher, Krähen, Greifvögel, Möwen oder Eulen. Ein in der steilen Uferabrisskante turnendes Hermelin – ein flinker vorbei- rasender Schatten mit schwarzer Schwanzspitze – lässt einem das Herz zwar augenblicklich höher schlagen, zeigt aber vor Ort, dass auch der Eisvogel hier nicht ganz so sicher brütet wie gedacht. Zudem schwemmte ein Hochwasser mit 560m3 /sec. am 21. Mai alle Gelege und Pullis weg.

Die Zürcher Kiesbank war zugänglich vom Damm her und oft Rastplatz für Böötler - der Rangeraufwand war deshalb hier intensiver. Die Kiesbänke standen durch ihre geringe Höhe drei Mal unter Wasser, die Gelege der beiden Brutpaare danach natürlich weg. Die letzten vier Zürcher Flussregenpfeiferjungen schlüpften am 17. Juli in der Abendsonne. Zufällig am selben Datum wie im Vorjahr - ein Junges wurde flügge.

Das nasskalte Wetter im April und Mai lockte kaum jemanden per Boot flussabwärts - man konnte sehen, dass die Strömung dem Ufer entlang direkt in die freigespülten früheren Thurgauer Holzverbauungen zielte, an denen sich viel Schwemmholz verfangen hatte. Nach Gefahrenmeldungen durch erste Bootskapitäne bei der Kapo und dem AWEL Thurgau mussten Mitte Mai die Zähne im Fluss gezogen werden. Die Operation gelang vom Thurgauer Ufer her nicht wie geplant und musste spontan via „Zürcher Hohheitsgebiet“ weitergeführt werden inklusive Baggertransport auf die andere Flussseite. Die Zufahrt vom Vorland auf die Zürcher Kiesbank wurde vom Baggerführer sehr sorgfältig beim schon vorhandenen Abgang und entlang unserer Absperrungen durchgeführt. Der Einsatz im Wasser war für die ebenfalls aufgebotenen Kantonspolizisten der Seepolizei TG beim Wasserstand von knapp 50m3/sec in der Kurve für Zuschauer zwar spektakulär, aber gar nicht harmlos und Kräfte zehrend, denn der Fluss war nach Regengüssen und einem kleinen Hochwasser zwei Tage vorher erst am Abschwellen.
Unterdessen gibt es wieder neue Flusszähne am selben Ort. Da es keine natürlichen Hindernisse sind, werden sie vermutlich wieder entfernt werden. Bitte nicht erst im Mai - zum Kuckuck: der selten gewordene Brutvogel ruft ab Mitte April im Schäffäuli, Schneisen im Auenwald zur Brutzeit sind nicht nur für ihn unnötige Störungen. Während der Bagger-Aktion auf der Zürcher Kiesbank entdeckte Silvio Bartholdi ein frisches Flussregenpfeifergelege – als Notabsperrung diente vorerst ein Original-Polizeiabsperrband, am Abend ersetzten wir es durch unser eigenes Material. Leider war eine Woche später schon „landunter“ wegen Hochwasser. Dieses Paar behielt sein Revier für zwei weitere Brutversuche, verlor sein letztes Gelege aber trotz Absperrung durch Störung kurz vor dem Schlüpfen.

Es war 2019 sehr schwierig, vom Ufer aus den Überblick über die brütenden Vögel und ihren Bruterfolg zu behalten. Die Vegetation auf der Insel wuchs über Nacht zu einem gelben Teppich und wurde im Verlauf des Sommers immer dichter und höher. Um nach Regenfällen Markierungen und Laminate an der Wasserlinie auszubessern überquerten wir den Fluss ein paar Mal von ZH her. So hatten wir jeweils, auch hier ohne die Insel zu betreten, kurz Einblick in die wenigen vegetationsfrei gebliebenen kiesigen Flächen.
Sechs Paare konnten wir im März und April in den Schlickflächen des Rücklaufs beobachten, 2 Paare wechselten nach den ersten Revierkämpfen definitiv auf die Zürcher Flussseite. Die Thurgauer Paare waren nach kurzer Brutdauer leider alle bald schon wieder zu zweit im Schlick auf Nahrungssuche. Nach einem Gelegeverlust wirken sie immer etwas ziellos - die Umstellung vom Brutmodus in einen neuen Balzmodus braucht in Abhängigkeit von der Brutdauer ein paar Tage. Dann ging mit neuer Balz alles wieder von vorne los, leider mit gleichem Resultat. Das Mai-Hochwasser spülte auf jeden Fall alle vorhandenen Gelege oder Pullis weg, auch früh geschlüpfte Vögel wären noch nicht flügge gewesen. Neustart für alle Paare war deshalb Ende Mai - nach Mitte Juni waren ganz sicher wieder 6 Paare gleichzeitig am Brüten. Aber wo sind die Jungen geblieben?

Welcher Nesträuber verantwortlich war für den Verlust wissen wir nicht. Die Sukzession im Thurgauer Rücklauf schreitet fort. Der Fluss lässt die vorgelagerte Insel ausser bei grossen Hochwassern rechts liegen – so wandelt sich der ehemalige Pionierstandort zum immer strukturreicheren Lebensraum für neue Arten und die oberen Lagen werden als Nistplatz für die Flussregenpfeifer naturgemäss ungeeigneter. Die Flussregenpfeifer brauchen die Flussdynamik , da sie als Pionierart neu entstandene vegetationslose Kiesflächen bevorzugen. Diese bieten während der Brutzeit den besten Schutz vor Feinden – auch für scharfe Augen sind die Vögel kaum auszumachen - sind aber durch ihre geringe Höhe sehr hochwassergefährdet.

Flussuferläufer sind hier fast ganzjährig anzutreffen, ihre Fluchtdistanz ist aber viel grösser als die der Flussregenpfeifer. Sie brauchen zum Brüten locker bewachsene Sand- oder Kiesbänke, die auch mit niedrigen Sträuchern bestockt sein können. Nur eine Vision für das Schäffäuli? Jedenfalls braucht es weiterhin Schutzmassnahmen und kontrollierte Besucherlenkung vor Ort. Prädatorendruck und Hochwasser blieben natürlich auch für diese Art eine existentielle Bedrohung, die insgesamt nur durch weitere Renaturierungen entlang der ganzen Thur reduziert werden könnte (mehr dazu: www.aquaviva/thur -> 10-Punkte Plan).

Die Nasen gehören zu den stark bedrohten geschützten Fischarten ( CH seit 2007 Rote Liste Art). Die Weibchen graben im Flachwasser mit der Schwanzflosse eine Grube im lockeren Kies und kleben ihre Eier an die Steine. Seit der Renaturierung der Murg und den Aufschüttungen der Schwellen mit Kies können die Nasen zum Laichen auch murgaufwärts wandern - inzwischen jedes Jahr mehrere tausend Exemplare. In den ersten paar Tagen nach dem Schlüpfen halten sich die Larven in den Lücken im Kies auf, dann im ruhigen Wasser der Flussrückläufe.

Die neunköpfige Nilgansfamilie bezog erstmals am 18. Juli den übersichtlichen nahrungsreichen Zürcher Flussrücklauf. Zwei Rotmilane, die vor unseren Augen im Sturzflug auf die Dunenjungen zielten, wurden mit gereckten Hälsen, Flügelschlag und lautem Gezeter verjagt. Ein Fuchs wird es sich sicher zweimal überlegen, in die Nähe der Jungen zu kommen. Ende Oktober war die Familie jedenfalls im Thurmäander immer noch vollzählig. Wir vermuten ihren Brutplatz beim Gillweiher (Foto) bei Feldi /Altikon, hatte sich doch ein Paar Nilgänse den ganzen Mai über stationär auf dem angrenzenden Feld aufgehalten. Ab ca. 10. Juni stand für ein paar Wochen nur noch ein Einzelvogel da – der Ganter hält während der Brutdauer von 28-30 Tagen in der Nähe des Brutplatzes Wache, etwa eine Woche nach dem Schlüpfen verlässt die Familie den Brutplatz.

Die Altiker und Thalheimer Naturlebensräume zwischen Feldisteg und Gütighausen sind sehr vielfältig: vom Biber gestaltete Altwasser mit Schilf, Weiher, Giessen, der Binnenkanal, Bäche und immer wieder auch temporäre Pioniergewässer, die sich bei Hochwasser durch Rückstau des Binnenkanals auch bis in den Schlattwald hinein bilden. Im Auftrag der Fachstelle Naturschutz ZH kartiert Libellenspezialist Claudio Koller 2019/2020 die Libellen in diesen verschiedenen Biotopen.
Libellen haben komplexe Ansprüche an ihren Lebensraum bezüglich der Strukturvielfalt der Vegetation am und im Gewässer, brauchen vernetzte Teilhabitate und eignen sich als Indikatorart sehr gut, einmal mehr den ökologischen Wert dieser einmaligen Thurlandschaft aufzuzeigen.
Die Kartierung soll auch Grundlagen für Pflege-, Aufwertungs-und Vernetzungsmassnahmen in all diesen Habitaten bieten. Es ist eine Landschaft, der wir alle Sorge tragen müssen - nicht nur als Besucher, sondern ganz prioritär auch als Bewirtschafter. Sei es auf dem Thurdamm, in kantonalen Schutzgebieten oder im Kulturland durch Einhalten von Gewässerabständen und Pufferzonen.

Ein dickes Lob ans AWEL ZH: vorbildlich gestaffeltes Mähen auf den 5km zwischen Feldisteg und Asperhof, die ganze Saison über blühende und bis Ende Juli noch ungemähte Abschnitte – und das trotz frühem und häufigerem Mähen auf der Dammsüdseite, wo dichte Berufkrautbestände vorkommen. Die Kombination von mehrfachem Mähen und Zupfen in den ungemähten Abschnitten sollte wenigstens eine weitere Ausbreitung verhindern. Das Mähregime wird 2020 wie im Vorjahr beibehalten, zusätzlich wollen wir aber versuchen, einen Abschnitt durch Zupfen im 14-Tage-Rhythmus frei zu bekommen.

Neophyten an der Thur sind unvermeidbar - nicht nur bei Hochwasser bringt der Fluss täglich neue Saat aus sämtlichen Zuflüssen. Wie beim Hochwasserschutz sind bei Bekämpfungsstrategien alle Kantone entlang des Flusses gemeinsam gefordert. Die Kantonsgrenze TG/ZH verläuft bei Neunforn/Altikon in der Mitte des ehemals begradigten Flusses. Seit der Renaturierung sind die Grenzen ständig im Fluss und damit auch die Zuständigkeiten. Wer die Zürcher Kiesbank betritt ist nach ein paar Schritten im Kanton Thurgau – und damit im nationalen Auenschutzgebiet. Eine gemeinsame Schutzverordnung für das ganze Gebiet muss deshalb das Ziel sein.

Ende Saison ist anfangs Saison
Langfristig gesehen braucht es ein Besucherlenkungskonzept, dass ohne Freiwillige funktioniert - über die Kantonsgrenze hinaus. Ideen zur Lösung dieses Problems sind auch 2020 immer noch gesucht. Dieser Lebensraum mit seiner vielfach dokumentierten, hohen Biodiversität hat diesbezüglich Entwicklungspotential. Wir werden auch dieses Jahr versuchen, die Besucher für unsere Juwelen vor der Haustüre zu sensibilisieren, sei es durch direkten Kontakt bei Beobachtungen vor Ort und auch auf Exkursionen. Ebenso werden Besucher, welche die Absperrungen missachten, verzeigt.

Fide Meyer Text, Thurbilder
Silvio Bartholdi Vogelfotos (Digiscoping Fernrohr)

Natur- und Vogelschutzverein Altikon www. natur4ort.ch
im Auftrag Forstamt TG / Fachstelle Naturschutz ZH

 

Der Bericht kann hier heruntergeladen werden.