Flussregenpfeifer 2024

Bericht zur Flussregenpfeifersaison 2024
Schäffäuli

Altikerbrücke 1. Juni 2024 956m3/sec

am 3.6. erneuter Peak knapp 600m3/sec, gefolgt von 300m3/sec am 10.6. -> Neustart Brutsaison

Thurgauer Kiesbank, im Hintergrund gefülltes Rückhaltebecken Asperhof durch Rückstau des ZH Binnenkanals

Ende Schutzgebiet Schäffäuli, kurz vor Fahrhof in Richtung Thalheim flussabwärts

Rückhaltebecken Asperhof Richtung Fahrhof

Faszination Hochwasser von der sicheren Warte aus

Hochwasserprognose Thur-Halden: 1600m3/sec

Feldi - Altikon 80cm-150cm unter Wasser am 8.8.1978 nach Dammbrüchen bei Frauenfeld (Foto AWEL PD), 1061m3/sec

Neophytenprojekt mit dem AWEL

Die Flussregenpfeifersaison 2024 verlief ähnlich wie im Vorjahr: für die gegen Ende März bis Mitte April eingetroffenen sieben Paare gab es wetterbedingt auch erst in der zweiten Saisonhälfte reelle Chancen auf Bruterfolg.
Nach dem wärmsten Winter seit 1864 (im Februar in St. Gallen 6.6°C über Normwerten) folgten Hochsommertage in der erster Aprilhälfte (Basel 28.8°C). Ab Mitte April kamen nach einem Temperatursturz mit 10-tägiger anhaltender Kälteperiode um 0°C wohl viele der schon zurückgekehrten Schwalben ums Leben. Der sehr nasse Mai wurde «gekrönt» durch das Hochwasser vom 31.5./1.6. mit Höchstabflussrate 956m3/sec (Station Andelfingen). Das bedeutet einen rund 4m höheren Wasserstand als in den Tagen zuvor.

Im Schäffäuli gibt der Wildfluss Thur den Takt an. Mit jedem Hochwasser wird Vorhandenes zerstört und verändert.
Dabei entstehen fliessend neue Lebensräume und Nischen für seltene Pflanzen und Tierarten. Es sind Pionierarten, welche die steilen Abrisskanten, Rückläufe mit nahrungsreichen Schlickflächen, Stillwasserzonen und neu geschaffenen Kiesflächen besiedeln.
Der Flussregenpfeifer ist einer dieser Pionierarten (CH 100-120 Brutpaare). Seine bevorzugten Brutplätze sind vegetationsfreie oder ganz spärlich bewachsene Kiesflächen.
Diese Pionierflächen bieten den Vögeln während der 3 1/2 Wochen dauernden Brutzeit den besten Schutz vor Feinden. Durch ihr Tarngefieder bleiben sie hier auch während der Brutablösung - beide Partner brüten - für die scharfen Augen überfliegender Greifvögel praktisch unsichtbar.

Die geringe Höhe ist oft der Nachteil von neu entstandenen Kiesflächen: so attraktiv sie für Flussregenpfeifer sind, es führen dann schon kleine Regenmengen zum Untergang der Gelege.
Die grössten Kiesflächen lagen zur Hauptsache wieder auf Zürcher Seite. Hier brüteten 5 Paare. Die einen wassersicher bis ca. 220m3/sec, die anderen schon ab 60-100m3/sec «landunter».
Da die Thurgauer Kiesbank nur noch bei >400m3/sec ganz überschwemmt wird, gibt es kaum mehr vegetationfreie Flächen, ausser am untersten Ausläufer des Rücklaufs und den flussnahen Randzonen.

Die Absperrungenan an beiden Ufern ab 30. März bis Anfang August entlang der Ufervegetation bewährten sich. Diese Besucherlenkungsmassnahmen wurden erneut sehr gut eingehalten.
Holzpfosten, doppeltes Weidezaunband und Infotafeln, dazu wasserseitig Markierungen im Sichtabstand mit Präsenz vor Ort.
Hilfreich war auch der nasse Frühling: Böötler und Badegäste blieben meist zu Hause.
Hilfreich war auch wieder das vorbildlich gestaffelte Mähregime des AWEL ZH. Breite unberührte Krautsäume entlang der Ufervegetation unterstreichen die Absperrungen.
 

1.6.2024 956m3/sec Wiederkehrperiode 50 Jahre
13.5.1999 1129m3/sec Wiederkehrperiode 150 Jahre
2.6.2013 992m3/sec Wiedekehrperiode 50 Jahre
8.8.1978 1061m3/sec Wiederkehrperiode 100 Jahre

 

Kurz vor einer Flutkatastrophe?
Extremwerte für die Hochwasserprognose Thur-Halden: 1600m3/sec für Mitternacht 9./10. Juni 2024

Die Vorhersage des Medians lag nur bei rund 200m3/sec, aber: was wäre wenn…
Was ging da wohl hinter den Kulissen ab? Krisenstab oder vorerst nur heisse Drähte zu den Meteorologen?
In der Flussregenpfeifersaison ist die Hydrodatenseite seit Jahren meine Startseite. Eine solche Prognose: nie gesehen!
Etwa 36h, von 5. Juni abends bis am 7. Juni morgens blieb die Prognosekurve so stehen. Dann kam die Entwarnung.


Ahrtal 2021, Valencia 2024: es waren extremste Wetterereignisse mit nie für möglich gehaltenen Regenmengen in kürzester Zeit. Die Warnungen für die Bevölkerung kamen zu spät.

Wallis 2024: einen Monat vor den verheerenden Überschwemmungen in Siders war eine Analyse im Auftrag des Walliser Regierungsrates zum Schluss gekommen, dass das Hochwasserrisiko überschätzt und das ganze Vorhaben der dritten Rhone-Korrektur unverhältnismässig sei.
Das Gebiet von Siders war neben Visp als Risikogebiet mit prioritären Massnahmen deklariert gewesen.

Glück gehabt: die grossen Wassermassen kamen in dieser Juninacht nicht - nur rund 300m3/sec.
Die Unwetter zogen übers Glarnerland und die Bodenseeregion. Es gab Verwüstungen von über die Ufer getretenen Bächen in Hemishofen, Steckborn und Berlingen.
Und wir… haben auch noch keine Sandsäcke im Keller.

Fazit für die Zukunft: der Fluss braucht dringend mehr Retentionsraum. Die Realisierung des Thurgauer Generationenprojektes, des Hochwasserschutz- und Revitalisierungskonzeptes ThurPlus wird mit zunehmenden klimatischen Veränderungen immer dringlicher.
Siehe zum Thema auch die Machbarkeitsstudie und den 10-Punkte-Plan der «IG lebendige Thur».

Nach dem kleinen Exkurs zu Hochwassern zurück zu unseren Flussregenpfeifern vor Ort: nach dem 10. Juni mussten sie ihre letzte Chance auf Bruterfolg für dieses Jahr nutzen.
Kaum tauchen die ersten Kiesbänke wieder auf, beginnen neue Balzflüge. Verlorene Gelege sind nach rund einer Woche wieder komplett.
Einige Paare haben nach dem x-ten Versuch auf den flachen Kiesbänken aber schon aufgegeben, ihre körperlichen Ressourcen sind aufgebraucht.
Ein besseres sprich höher gelegenes Revier haben sie bei Ankunft aus dem Süden nicht mehr vorgefunden. Die waren schon besetzt von erfahrenen Frührückkehrern.

Der breite Krautsaum mit Weidengebüschen auf Zürcher Seite erschwert oder verhindert mittlerweile Direktbeobachtungen der Flussregenpfeiferbruten. Auch der Thurgauer Zugang zur Wasserkante vis à vis der Brutplätze ist unzugänglich geworden. Wenigstens akustisch erkennen wir an den Lock- und Warnrufen erfolgreiche Bruten. Mehr als zwei erfolgreiche Paare sind es am Ende aber nicht gewesen.

Auch die Eisvögel hatten ein schwieriges Jahr. Nur vereinzelte erste Bruten entlang der Thur schafften den Abflug aus ihrer Höhle gerade noch vor dem Hochwasser. Dazu der Bericht von Matthias Griesser, Andelfingen (Schäffäuli und Umgebung S.39) http:// www.andelfinger-naturschutzverein.ch/nathurbildung

Die Bruthöhle bei der Einmündung des Alten Ellikerbachs in den ZH Binnenkanal war trotz randvollem Kanal, der die benachbarten Felder überschwemmte, stabil und wassersicher: es gab zwei erfolgreiche Bruten in derselben Höhle.

Von der Brutwand etwas kanalaufwärts wurden vom AWEL im Frühling die Naturverbauungen des Binnenkanals kulturlandseitig wieder um einen Abschnitt verlängert. Ein weiterer Mosaikstein bei der Aufwertung der Lebensräume entlang der Thur beim Auenschutzgebiet Schäffäuli.

Neophytenprojekt mit dem AWEL für die Biodiversität vor Ort am Thurdamm von April - August läuft weiter.
Der erste Kilometer ab Feldisteg braucht nur noch wenig Jätzeit.
Erstmals haben wir das Ziel Altikerbrücke erreicht. Dies erlaubt auf der mageren Südseite einen späteren Mähtermin mit normalem Heuen ab Mitte Juni. Die mit Berufkraut kontaminierte Flächen würden sonst früher und häufiger gemäht, das Schnittgut gleichentags entsorgt.

Der Wildfluss Thur bietet als längs vernetzender Lebensraum mit seinen flussnahen (Auen)Wäldern, Schilfgebieten, Giessen und Altarmen das Minimum an absolut lebensnotwendiger ökologischer Infrastruktur für unzählige Tier -und Vogelarten und ist auch Leitstruktur und Wanderkorridor für ziehende Vögel und Fledermäuse.
Dazu gehört auch der ausgedehnte äusserst strukturreiche Südhang zwischen Iselisberg und Fahrhof. Schwarzkehlchen, Neuntöter und sogar der Wiedehopf ist als Brutvogel seit 2023 zurück.
Das Schäffäuligebiet ist ein Hotspot seltener, teils prioritärer Brutvogelarten.
Diesen im BLN gelegenen Lebensraum gilt es unter allen Umständen vor Beeinträchtigungen zu schützen.
(Siehe dazu unsere Vernehmlassung zum Windenergie-Potentialgebiet 11 Thalheim unter www. natur4ort.ch)
Im Gegenteil: die ökologische Infrastruktur als zentrales Element zum Schutz und zur Förderung der Biodiversität muss entlang der ganzen Thur weiter ausgebaut werden.
Unser Engagement geht weiter.

28.2.2025 Fide Meyer (Text, Fotos NaThur), Silvio Bartholdi (Fotos Vögel) Natur- und Vogelschutzverein Altikon
Massnahmen Flussregenpfeiferschutz mit Unterstützung der Fachstelle Naturschutz ZH und Forstamt Thurgau

 

Der vollständige Bericht kann hier als pdf herunter geladen werden.